USA: Reiche gründen Charter-Schools für Unterschicht - WELT (2024)

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Die Schule an der 2040 West Adams Street stand schon, bevor die Wolkenkratzer am Michigan-See in den Himmel wuchsen. Bevor die Hochbahn auf Stahlstelzen gestellt wurde, um die Quartiere der Einwanderer aus der Alten Welt mit den damals neuesten Fabriken der Welt zu verbinden. Bevor Wrigley Field gebaut wurde, das wohl schönste Baseballstadion der USA, 100 Jahre alt. Bevor also all das entstand, was Chicago ausmacht, die amerikanischste aller amerikanischen Städte, gab es die William McKinley High School schon, einen neoklassizistischen Tempel mit korinthischen Säulen.

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Es ist das älteste Schulgebäude Chicagos, seit 140 Jahren wird dort unterrichtet. Walt Disney zeichnete hier 1917 für die Schülerzeitung die ersten Skizzen seiner Mickey Mouse. Doch heute steht die Schule im Zeichen eines grimmig dreinschauenden roten Stiers, den jeder von Baseball-Mützen oder aus dem Fernsehen kennt. Die Chicago Bulls, die populärste Basketballmannschaft der Welt und ein Konzern mit 200 Millionen Dollar Jahresumsatz, haben der Schule ihr Firmenlogo gegeben und ihren Namen. Die Schule heißt heute „Chicago Bulls College Prep“.

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Wer etwas auf sich hält, macht das jetzt so in Amerika. Er gründet eine Schule. Die Pritzkers, die reichste Familie Chicagos, Besitzer der Hotelkette Hyatt und legendäre Mäzene, haben eine auf der Nordseite der Stadt. Bruce Rauner, ein Investmentbanker und Private-Equity-Milliardär, der sich im November zum Gouverneur des Staates Illinois wählen lassen will, hat eine Schule in West-Town nach sich und seiner Frau benannt. Die Waltons, Besitzer von Wal-Mart, der größten Supermarktkette des Landes, haben Schulen in 16 Bundesstaaten. Und Mark Zuckerberg, der Gründer und Chef von Facebook, hat mit „Startup Education“ sogar eine eigene Stiftung zur Gründung von Schulen aufgemacht.

Der Staat zahlt zwar weiter, aber er hat nichts mehr zu sagen

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Ein Umsturz von oben ist im Gang, so radikal, wie man es sich in Deutschland nicht einmal vorstellen kann. Privatleute, Milliardäre, Konzerne, Non-Profit-Organisationen, Universitäten und Forschungseinrichtungen übernehmen Schulen. Öffentliche Schulen in Problemvierteln. Der Staat zahlt zwar weiter, aber er hat nichts mehr zu sagen.

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Die William McKinley High School ist also eine Charter-School geworden, wie immer mehr Schulen in den USA. Das englische Wort Charter bedeutet „Vertrag“, aber auch „Freibrief“ und das trifft es besser. Die Freiheit ist total. Charter-Schools werden mit Steuergeldern finanziert, aber von privaten Betreibern geleitet. Sie legen ihre Fächer selbst fest, die Größe der Klassen, die Unterrichtszeiten und die Länge der Ferien. Sie bauen ihre Räume um, wie sie wollen, und stellen ihre Lehrpläne selbst auf. Sie stellen ihre eigenen Lehrer ein, oft Frauen und Männer ohne Ausbildung, und können sie jederzeit feuern.

Seit 1957 ein Gesetz Kindern aller Hautfarben den Zugang zu gemischten Schulen garantierte, hat keine bildungspolitische Maßnahme Amerika so sehr verändert wie die Einführung der ersten Charter-Schulen vor ein paar Jahren. In Chicago besuchen inzwischen 80.000 Schüler so eine Schule, jedes Jahr werden es mehr. Die Stadt hat in den vergangenen zehn Jahren 100 klassische Schulen in ihren Problemvierteln geschlossen. Dafür wurden 100 Charter-Schulen eröffnet.

Obama glaubt an die Wirkung dieser radikalliberalen Idee

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Es ist kein Zufall, dass die Charter-Schulen seit dem Amtsantritt von Barack Obama wichtiger geworden sind. Der Präsident glaubt, sie seien die beste Möglichkeit, die immer dramatischer werdende Ungleichheit zwischen Schwarz und Weiß in den USA zu mildern. Die Idee dahinter ist aber nicht sozial, sondern radikalliberal. Das erklärt, warum die konservative Tea-Party-Bewegung und Teile der politischen Linken sie in seltener Einigkeit bejubeln. Charter-Schulen sind die neueste Version des amerikanischen Traums.

An der Schule der Chicago Bulls werden an diesem Septembermorgen mehr als 200 neue Schüler aufgenommen, Freshmen heißen sie hier, Frischlinge. Sie sind Neuntklässler, die zum ersten Mal in ihrem Leben eine Uniform tragen. Helle Khaki-Hosen, schwarze Gürtel, schwarze Schuhe und dunkle Poloshirts mit dem Zeichen des Noble-Networks, das diese und 15 weitere Schulen betreibt. Es sind pubertierende 14-Jährige, die acht Jahre in traditionellen Schulen hinter sich haben. Sie wirken eingeschüchtert wie Schulanfänger. Sie lachen nicht, schwätzen nicht und meiden jeden Blickkontakt mit Erwachsenen.

Auf den Namensschildern, die sie auf der Brust tragen, steht Deonta, Willie oder Deshawn. Namen, die beim schwarzen Drittel der Bevölkerung Chicagos beliebt sind. Schüler mit hellerer Haut heißen Miguel, Jésus oder Heriberto. Das zweite, schnell wachsende Drittel der Bevölkerung hat lateinamerikanische Wurzeln. Zu den Namen, die hier auf keinem Schild stehen, gehören Jacob, Gregory oder Mark, die Namen des weißen Drittels in Chicago. So heißen in dieser Schule nur Lehrer.

Sie sind eine Idee von sehr reichen Weißen für sehr arme Schwarze und Latinos

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Die Schule ist, wie alle Charter-Schulen, für die Eltern kostenlos. Neun von zehn Schülern sind sogar von der Zahlung des Mittagessens befreit. Wer bei Google-Maps die Begriffe „Charter-Schools“ und „Chicago“ eingibt, sieht viele Pfeile im Süden und Westen der Stadt. Auf einer interaktiven Karte ist Chicago in verschiedenen Blautönen eingefärbt, das sind die Einkommensverhältnisse. Auf einer anderen Karte ist Chicago rot, mal heller, mal dunkler, das sind die Gewaltverbrechen. Die Charter-Schulen siedeln sich dort an, wo die roten und blauen Punkte am dunkelsten sind, Chicago also besonders arm und gefährlich ist.

Sie sind eine Idee von sehr reichen Weißen für sehr arme Schwarze und Latinos. Die Reichen sind angetreten, auch die Kinder der Armen konkurrenzfähig zu machen.

In den Fluren der „Chicago Bulls College Prep“ hängen Plakate mit Merksätzen, fast an jeder Wand. „Harte Arbeit ist keine Option, sondern eine Notwendigkeit.“ Oder: „Dies ist nicht die Zeit für Apathie oder Selbstgefälligkeit. Dies ist die Zeit für energische und positive Aktion“, ein Zitat von Martin Luther King. In einer anderen Schule des Noble Networks sind sogar die Spiegel in den Toiletten beschriftet: „Du schaust einen zukünftigen College-Absolventen an.“ Das ist ein kühnes Versprechen. Die University of Chicago hat in einer Langzeitbeobachtung analysiert, wie viele männliche schwarze Schüler, die mit 14 Jahren in einer Highschool beginnen, bis zum 25. Lebensjahr die Universität absolvieren. Das Ergebnis: zwei von 100.

Von den 27 Jungen, die gerade in Raum 300 ihren ersten Schultag beginnen, wird statistisch gesehen also nicht einmal einer einen Universitätsabschluss machen. Geschweige denn Arzt, Anwalt oder Programmierer werden. Eine weitere Statistik besagt, dass ein Drittel aller schwarzen, männlichen Amerikaner zwischen 20 und 29 Jahren in Haft ist – oder auf Bewährung draußen.

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Wenn Mark Hamstra Raum 300 betritt, drücken die Neulinge ihre Rücken durch. Hamstra, blond, wuchtig, breite Schultern, bewegt sich auch in weißem Hemd und Krawatte so zackig, als trüge er noch seine Uniform. Sieben Jahre diente er in der Army, in Korea und Afghanistan. Zuletzt hat er junge Rekruten der afghanischen Armee für den Kampf gegen die Taliban trainiert.

Da kam ihm die Idee, er könnte für den Schuldienst in seiner Heimatstadt Chicago taugen. Er hat es bei öffentlichen Schulen versucht, er bekam kein einziges Bewerbungsgespräch. Bei den Bulls ist Hamstra jetzt der „Dean of Discipline“, der Disziplin-Direktor. Hamstra will gleich am ersten Tag klarstellen, dass diese Schule nach anderen Regeln funktioniert als alles, was die Freshmen bisher kannten. Wer 30 Sekunden zu spät zum Unterricht erscheint, bekommt einen Strafpunkt. Bis zu zwei Minuten zu spät: zwei Strafpunkte. Alles darüber: drei Strafpunkte.

Shirt hängt aus der Hose? Ein Strafpunkt.

Hängt das Poloshirt der Schuluniform aus der Hose: ein Strafpunkt. Länger als 45 Sekunden „ohne Zweck“ im Korridor herumstehen ist „Herumlungern“: ein Strafpunkt. Berühren von Mitschülern ist nur zur Begrüßung erlaubt, „maximal drei Sekunden“. Verstoß: ein Strafpunkt. Schubsen: vier Strafpunkte. Ein Mobiltelefon oder ein anderes elektronisches Gerät benutzen? Vier Strafpunkte.

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Schon vier Strafpunkte führen zu drei Stunden Arrest. Wer zwölf Mal im Arrest saß, muss eine Besserungsklasse belegen. Wer weiter Strafpunkte sammelt, wird tageweise suspendiert und schließlich der Schule verwiesen. Solch ein militärisches Bestrafungssystem gibt es an allen Schulen des Noble-Netzwerks.

Dahinter steht der in Amerika weitverbreitete Glaube, nach dem schon ein eingeschlagenes Fenster, das nicht repariert wird, ein Stadtviertel langfristig zum Ort von Mord und Totschlag macht. Die Antwort der Schule darauf: null Toleranz. Wem man heute beibringt, sein Hemd in die Hose zu stecken, der nimmt in einem Jahr keine Drogen und begeht in drei Jahren keinen Mord. Tatsächlich besagt die Statistik, dass die jüngeren Jahrgänge sehr viele Strafen kassieren, die älteren aber wenige. Die Kinder gewöhnen sich die Umgangsformen des Gettos ab.

Wer das nicht schafft, wird aussortiert. „Drogen, Fights, Gangs – die bringen euch hier sofort raus!“, sagt Hamstra. Wer das Zeichen einer kriminellen Gang auch nur an den Rand einer Heftseite kritzelt, muss die Schule verlassen. Deren Reich beginnt unmittelbar am Schulgebäude.

Draußen regieren die Latin Kings oder Satan’s Disciples

Hamstra zeichnet ein Lagebild an ein Whiteboard im Klassenzimmer, so ähnlich hat er das vor seinen Rekruten in Kabul auch gemacht. Was dort die Green Zone war, in der amerikanische Soldaten sicher waren, ist jetzt die „safe area“ vor der Schultür, die Hamstras Leute immer im Blick haben. Sie eskortieren die Schüler von dort zum Bus. Wer zu Fuß nach Hause will, muss zuerst Richtung Osten gehen, egal wo er wohnt. Denn alle anderen Wege führen durch die Quartiere der Latin Kings, der Satan’s Disciples, Vice Lords oder der anderen Gangs.

Einmal hat eine Gang zwei Schüler unmittelbar vor dem alten Haupteingang der Schule zusammengeschlagen. Eine Lehrerin sah es und rief Hamstra, der immer ein Funkgerät am Gürtel trägt. Er lief hinaus und zog die Schüler unter den Fäusten der Gang-Mitglieder weg. Die blieben demonstrativ stehen, um ihr Revier zu markieren.

Hamstra wähnt sich in einem asymmetrischen Krieg, der nur langfristig gewonnen werden kann. „Die Taliban rekrutieren sich aus jungen Männern ohne Bildung. Das Gleiche gilt für die Gangs von Chicago.“

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Der Chef wirkt neben Mark Hamstra schmächtig. Tyson Kane ist hager, sein Schädel kahlrasiert. Er trägt eine dicke Lederjacke, auf die das Logo der Chicago Bulls genäht ist. Seine Schüler begrüßt er morgens mit Handschlag, alle 1100. Kane weiß ihre Namen, schon in der dritten Schulwoche, er liegt an diesem Morgen nur dreimal daneben. Er sagt: „Es sind meine Kinder, sie haben ein Recht darauf, dass ich sie kenne.“ Wenn er etwas mehr über sie wissen will, geht er ins Konferenzzimmer. Ein eigenes Büro hat hier niemand mehr, das ist in Charter-Schulen nicht anders als in modernen amerikanischen Versicherungen, Banken oder Redaktionen.

Bevor Ihr Kind wieder zu Hause ist, wissen Sie schon, was es in der Schule angestellt hat!

Sein wichtigstes Werkzeug hat Kane in einer Ecke aufgestellt: einen schwarzen Laptop. Auf dem läuft eigentlich immer „PowerSchool“, ein spezielles Programm. Mit ihm bewerten Lehrer ihre Schüler in Echtzeit. Sie tragen Noten ein, die Ergebnisse eines Gesundheitstests und die Strafpunkte der Schüler. Die Eltern loggen sich ein und verfolgen jederzeit, was ihre Kinder treiben. „Bevor Ihr Kind wieder zu Hause ist, wissen Sie schon, was es in der Schule angestellt hat!“ So wirbt der Betreiber.

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„Wir sammeln alle Daten über unsere Schüler, die wir bekommen können“, sagt Kane. Daten, glaubt er, lügen nicht. „Gibt es einen Anstieg bei morgendlichen Verspätungen, schauen wir uns die Schulwege an. Gibt es mehr vergessene Hausaufgaben, halten wir zur gezielteren Kontrolle an. Sinken die Fitnesswerte, muss mehr Sport gemacht werden.“ Das alles wäre für deutsche Lehrer undenkbar. Für Kane ist es normal.

Er hat als Investmentbanker bei der Boston Consulting Group gearbeitet und bei Carlyle, einer der größten Schattenbanken der Welt. Carlyle kauft gezielt angeschlagene Unternehmen auf, saniert oder zerschlägt sie, um die Teile mit Gewinn weiterzuverkaufen. Die Entscheidungen über den Wert solcher Firmen werden aufgrund riesiger Datenmengen getroffen. „Mit den Schülerdaten arbeite ich genauso“, sagt Kane. Das Ergebnis: Die Schule der Bulls gibt es seit sechs Jahren, sie hat zwei Absolventenjahrgänge hervorgebracht. Von diesen Absolventen gingen alle aufs College, sagt Kane.

Er bewertet nicht nur seine Schüler nach Daten, auch seine Angestellten. Die Daten entscheiden, wen er befördert oder entlässt. „Wir testen eine Klasse, bevor eine Unterrichtsreihe beginnt. Nach ihrem Abschluss testen wir die Klasse wieder. Die Veränderung ist das Wachstum, das der Lehrer erarbeitet hat.“ Wenn er die Daten aller Lehrer zusammenrechnet, glaubt Kane, könne er ein ganzes Kollegium bewerten. Oder eine ganze Schule. Oder alle Schüler des aus 16 Schulen bestehenden Konzerns, der dann stolz meldet, im vergangenen Jahr ein „Wissens-Wachstum von sechs Prozent“ erarbeitet zu haben.

Quertreiber werden in den Sommerferien nachgeschult

Kanes Daten können für jeden Charter-Angestellten, vom einfachen Lehrer bis hin zum Vorstandsvorsitzenden, bares Geld wert sein. Sind sie gut, winkt ein Bonus von bis zu einem Viertel des Gehaltes. Das heißt allerdings auch, dass jeder Schüler, der bei einem Test durchfällt, den Bonus schmälert.

Kritiker halten Kane deshalb eine ganz andere Statistik entgegen. Einer von zehn Schülern verlasse die Charter-School, bevor die entscheidenden Tests geschrieben würden, sagen sie. Das ist trotz Schulpflicht möglich, weil diese Kinder auf ihre normalen Nachbarschafts-Schulen gehen können. Dort treffen sich dann alle, die aussortiert wurden. So senken die Charter-Schulen das Niveau der normalen Schulen, ihrer Konkurrenz.

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Den Zorn der Öffentlichkeit erregte die Schule der Bulls bisher nur einmal. Als nämlich im vergangenen Jahr publik wurde, dass sie nicht nur Strafpunkte an die Schüler verteilte, sondern damit auch Kasse machte. Der Betreiber verlangte für die Strafpunkte, die Drill-Direktor Hamstra verhängte und Schulleiter Kane in seinem Laptop gespeichert hatte, von den Eltern eine „Bearbeitungsgebühr“ von fünf Dollar – wenn es einen Arrest gab. Die Besserungsklassen, die laut Schulordnung ab dem 13. Arrest vorgeschrieben sind, kosteten 140 Dollar. Und Eltern, die einen notorischen Quertreiber hatten, mussten ihn in den Sommerferien nachschulen lassen.

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Man bringe nachlässige Eltern so dazu, sich um ihre Kinder zu kümmern, argumentierte die Schule.

Doch als Marsha Godard, die überforderte Mutter eines 15-Jährigen, mehr als 2000 Dollar an Gebühren für ihren Sohn an die Schule zahlen sollte, ging das durch die Presse. Blogger recherchierten, dass das gesamte „Noble Street Network“ in den vergangenen fünf Jahren stolze 400.000 Dollar an Strafen und Gebühren eingesammelt habe. Von Eltern, die nicht einmal genügend Geld verdienen, um das Schulessen ihrer Kinder bezahlen zu können.

Noble verteidigte sich, machte aber schließlich einen Rückzieher. Seit diesem Schuljahr ist Arrest gebührenfrei.

Edgar Herrera hat sich noch einmal auf den Weg in seine alte Schule gemacht, zu den Bulls, in die 2040 West Adams Street, wo er vor einem Jahr seinen Abschluss machte. Er wollte nicht, dass ein Reporter zu ihm nach Hause kommt. Er sagt, dort sei keine Ruhe, um zu sprechen.

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Einst zog er mit seinen Eltern aus Mexiko nach Chicago, ein Einwandererkind. Inzwischen ist er 20, er teilt sich im Süden der Stadt noch immer eine Zweizimmerwohnung mit seinen Eltern und den drei jüngeren Brüdern. Sein Viertel, das „Little Village“, ist eine der vielen gefährlichen Gegenden der Stadt. Heranwachsende werden dort von den Gangs als Drogenkuriere rekrutiert, da sie nur bedingt strafmündig sind. Hier ist die Mode der weit herunterhängenden Jeans entstanden, abgeschaut bei Kriminellen, denen in der Untersuchungshaft Gürtel und Schnürsenkel weggenommen werden. Edgar Herreras Hose sitzt auf der Hüfte, wie es der Dresscode der Bulls-Schule vorschreibt. Es wäre undenkbar, dass er im Jargon seines Viertels spricht. „Schon die Schuluniform schützt“, sagt Herrera. „Die Gangs sehen, dass wir anders sind.“ Den Halt, den seine Nachbarn in Banden suchten, fand er in der Schule.

Bei den Bulls beginnt der Tag für die Schüler nicht mit Unterricht, sondern der „Advisory“, einer Art künstlichen Familie. Dort sind Jungen und Mädchen jeweils unter sich und besprechen mit einem Vertrauenspädagogen die Herausforderungen des Schulalltags, aber auch persönliche Probleme.

„Wir waren wie Brüder“, sagt Herrera. Er spielte in der Fußballauswahl, Linksaußen, er war ihr Kapitän und wurde mehrmals zum wichtigsten Spieler des Jahres gewählt. Noch heute fährt er zur Bulls-Schule, wenn er auf dem College Schwierigkeiten mit dem Stoff hat. Er studiert jetzt Werkstoff- und Ingenieurswissenschaft im Illinois Institute of Technology. Die Uni hat ihm mit seinem hervorragenden Charter-School-Zeugnis ein Stipendium gegeben. Sein Vater hätte die 36.000 Dollar Studiengebühren pro Jahr, die seine Kommilitonen zahlen, niemals aufbringen können. Der Vater arbeitet in einer Recyclinganlage. Es reicht gerade, um die Familie durchzubringen.

Auch schwarze Mittelschicht sendet Kinder in Charter-Schools

Edgar Herreras Geschichte ist wie aus einem Werbeprospekt für Charter-Schulen. Ein begabter und zielstrebiger junger Mann schafft es, der Armut zu entkommen, in der er aufgewachsen ist. Die Wahrheit ist aber, dass längst auch die amerikanische Mittelschicht begonnen hat, das Heil ihrer Söhne und Töchter in Charter-Schools zu sehen. Zumindest der Teil, der schwarz ist.

Melvin McGrew ist ein fülliger Mann, 53 Jahre alt, die ergrauten Brauen über seinen milden Augen lassen ihn väterlich wirken. Er hat es mit seiner Frau zu einem eigenen Häuschen gebracht. Sie haben eine Art Festung daraus gemacht, für seinen Sohn Quincy. „Mein Sohn war immer ein behütetes, übersensibles Kind. Solche Kinder gehen in den Schulen in unserer Nachbarschaft schnell unter“, sagt McGrew. Drogen und Gewalt gehören dort zum Alltag. Wenn sein Sohn Baseball spielen wollte, spielte McGrew mit ihm. Als der Junge Basketball entdeckte, schraubte er ihm einen Korb an die Hauswand, damit er nicht in einen der Basketballkäfige ging. Jeden Tag fuhr er den Jungen mit dem Auto zur Privatschule. Bis er sie sich nicht mehr leisten konnte. Er hatte eine Herz-Transplantation und musste seinen Job bei einer Versicherung aufgeben. Das Gehalt seiner Frau reicht zum Leben, aber nicht mehr für die 6000 Dollar Schulgebühr im Jahr.

Als das Noble-Network in der Nähe eine Schule eröffnete, glaubte McGrew seine Gebete erhört. Dass dort Sicherheitsleute patrouillieren und die Schüler ständig kontrolliert werden, besorgte ihn nicht. Es hielt es für genau das Richtige. McGrew saß täglich am Computer und prüfte, ob der Sohn Strafpunkte bekam, ob er seine Hausaufgaben erledigte, wie seine Leistungen waren. „Ich hatte ihn verwöhnt, deshalb tat er sich zuerst schwer. Aber er hat sich angepasst. Wenn er heute am Abend nicht mit seinen Aufgaben fertig wird, stellt er sich einen Wecker und macht sie noch vor der Schule.“

Nicht alle Kinder kommen mit dem Drill klar

Quincy soll Physiotherapeut werden, so wollen es die McGrews. Dafür muss man in Amerika aufs College. Wie viele Amerikaner haben Quincys Eltern gleich nach seiner Geburt ein Konto angelegt, damit er später auf die Uni kann. „Was wir in der Charter-School an Gebühren sparen, legen wir zurück.“

Melvin McGrew ist ein nachdenklicher Mann. Er weiß, dass nicht alle Kinder mit dem scharfen Drill der Bulls-Schule umgehen können. Er sieht auch, dass sein Sohn nicht einen einzigen weißen Mitschüler hat. Doch ihm kommt kein Wort der Kritik über die Lippen. Wenn jemand schlecht über Charter-Schulen redet, zitiert er Barack Obama, seinen Präsidenten: „Erzähl mir nicht, was nicht funktioniert, bis du nicht einen Vorschlag machen kannst, was besser wäre.“ Obama hat seine politische Karriere genau dort begonnen, wo sich die Charter-Schulen jetzt besonders schnell ausbreiten. Er war Community-Organizer in den Problemvierteln Chicagos.

Als er dann Präsident wurde, erinnerte er sich an den Mann, der früher als Chef der Chicagoer Schulverwaltung den ersten Charter-Schools den Weg ebnete. Arne Duncan soll nun als Bildungsminister Charter-Schulen in allen amerikanischen Städten fördern. Und dann ist da noch Rahm Emanuel, dem Obama seine Wahlsiege zu verdanken hat. Er war Obamas erster Stabschef im Weißen Haus, nun ist er als Bürgermeister nach Chicago zurückgekehrt. Niemand kämpft leidenschaftlicher für die Charter-Schulen als er. Für die Betreiber der Chicago-Bulls-Schule heißt das nur Gutes. „Das Geheimrezept“ für gelungene Bildung sei dort gefunden worden, schwärmt Emanuel.

Das liberale Establishment steht hinter dem Drill

Diese Politiker sind weder Disziplinfanatiker noch Kapitalisten, weder Konservative noch radikale Libertäre, sondern ihre Gegner: das liberale Establishment. Sie stehen für den Teil Amerikas, der strengere Waffengesetze befürwortet, die hom*osexuellen-Ehe erlauben will und gegen den Klimawandel kämpft. Und niemand steht dafür in den USA so wie Davis Guggenheim.

Der Regisseur, Oscar-prämiert für seinen Film „Eine unbequeme Wahrheit“, den Feldzug des ehemaligen Vizepräsidenten Al Gore gegen die Erderwärmung, hat ein 90-minütiges Epos über die Schulbürokratie und ihre lähmenden Widersprüche gedreht. „Waiting for Superman“, eine Anklage gegen Lehrer, deren Trägheit die Ambitionen von Kindern erstickt. Der Film zeigt, wie einfach Lehrer an öffentlichen Schulen „tenure“ bekommen, eine Art politisch begründete Unkündbarkeit.

Mein Gehalt kommt, ob ihr lernt oder nicht

Guggenheim war mit versteckter Kamera in Klassenzimmern. Jungs haben ihre Füße auf die Tische gelegt und bewerfen lernwillige Mitschüler mit Papierkugeln. Der Lehrer sagt trocken: „Mein Gehalt kommt, ob ihr lernt oder nicht.“ Als der Film in die Kinos kam, lud Obama alle, die daran mitgewirkt hatten, ins Weiße Haus ein.

Die Lehrer der Charter-Schulen sollen das genaue Gegenteil der faulen Bürokraten aus Guggenheims Film sein: jung, dynamisch, enthusiastisch.

Ein Abend in Chicago, der Betreiber der Bulls-Schule hat ein ganzes Theater gemietet. „Kick off“ heißt die Veranstaltung zum Start ins neue Schuljahr, wie der Anstoß beim American Football. Es ist eine Party für die Lehrer. Sie tragen T-Shirts mit dem Logo der Schule. Und mit deren Parolen: „Konzentrieren! Konzentrieren! Konzentrieren!“; „humble, honest, hungry“, bescheiden, ehrlich und hungrig. Einige haben Schilder mitgebracht: „Wir führen Kriege gegen den Status quo“. Auf einer Leinwand läuft ein eigens gedrehter Film, der Welthit von Pharrell Williams, „Happy!“, dazu tanzen die Schulleiter. Jeder Hüftschwung löst im Saal Grölen aus.

Mitten im Jubel steigt der Geschäftsführer des Schulbetreibers auf die Bühne. „Schon heute kommen 50 Prozent der afroamerikanischen und lateinamerikanischen Studenten, die es auf schwer umkämpfte Colleges schaffen, von Noble!“ „In fünf Jahren werden wir zehn Prozent aller Schüler Chicagos ausbilden! Sprecht mir nach: In-fünf-Jahren-werden-wir ...“ Gut 300 Lehrer sprechen ihm nach. Als Gastredner spricht Dr. Howard Fuller, ein schwarzer Pädagogik-Professor, der als junger Radikaler in den 60ern die unabhängige Malcom-X-Universität mitgründete. Er hat sich seinen Zorn bewahrt, auch als etablierter Gelehrter. Heute ist es nicht mehr der Rassismus, der ihn wütend macht, heute sind es die Lehrergewerkschaften, die Charter-Schulen kritisieren: „Denen geht es nicht um die Kids, denen geht es nur um Macht. Darum, Geld zu verteilen“, ruft Fuller. „Was sagt ihr zu denen? Geht zur Hölle!“

Brett McNeil kennt solche Inszenierungen, er war früher Teil dieser Welt. Er arbeitete als Lehrer an der ältesten Charter-Schule Chicagos, der ITT Math & Science Academy, die von Nobles Konkurrenten Perspectives betrieben wird, mit ganz ähnlichen Prinzipien. „Der klassische Lehrer einer Charter-School hat keine Erfahrung. Er ist entweder Anfänger oder ein Seiteneinsteiger“, berichtet McNeil.

Er selbst war erst investigativer Reporter der angesehenen Zeitung „Chicago Tribune“, später hat er mit einem Stipendium der US-Regierung in Indonesien als Entwicklungshelfer gearbeitet. Als er zurückkam, wollte er seinen Enthusiasmus für die Benachteiligten in seiner Heimatstadt ausleben. Er heuerte in einer Charter-Schule an. „Ich musste sechs Stunden am Tag unterrichten.“ Amerikanische Geschichte, journalistisches Schreiben und Ethik. Wie, das war ihm überlassen. „Alles, was sie für mich hatten, war ein Projektor und sieben Bücher für die ganze Klasse. Kein Lehrplan, keine Materialien, nichts. In Indonesien, am Äquator, war ich besser ausgerüstet als in Chicago.“ McNeil wollte sich Hilfe bei etablierten Kollegen suchen, es gab bloß kaum welche. „In meinem Team, das für die zehnten Klassen zuständig war, gab es sieben Lehrer: Davon hatten fünf mit mir neu angefangen.“ Heute schätzt McNeil, dass nicht einmal vier von zehn Lehrern länger als ein Schuljahr bleiben. Feste Bezugspersonen für die Schüler gebe es dadurch kaum.

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Lehrer an Charter-Schools brennen für ihre Schüler, sagte McNeil. In Lehrer-Konferenzen würden oft herzzerreißende Geschichten über benachteiligte Schüler erzählt, die oft mit Tränen endeten. Anfangs, sagt McNeil, motiviere das. „Ich bin zeitweise um vier Uhr morgens aufgestanden, um mich auf meinen Unterricht vorzubereiten.“

Dafür hat er 52.000 Dollar Jahresgehalt bekommen, rund 40.000 Euro. Das war mehr, als die meisten seiner Kollegen bekamen, aber deutlich weniger, als die Lehrer an einer gewöhnlichen Schule in Chicago verdienen. Die bekommen im Durchschnitt umgerechnet fast 60.000 Euro im Jahr. Das entspricht in etwa dem Einkommen eines deutschen Lehrers, der Zehntklässler unterrichtet. Der erwirbt aber automatisch Pensionsansprüche und hat eine teilweise kostenlose Krankenversicherung, die sein amerikanischer Kollege teuer zahlen müsste.

Das ständige Improvisieren, die zehrende Arbeit mit Kindern, die von zu Hause keinerlei Grundlagen mitbringen: Irgendwann kommt der Moment, an dem kein Lehrer es mehr schafft, all die Geschichten an sich heranzulassen. Und es gibt kein tolles Gehalt, das einen entschädigt. So sagt es McNeil. „Die Arbeit ist nicht so organisiert, dass du sie lange machen kannst. Entweder du steigst in der Charter-School in die Leitung auf, oder du suchst erschöpft etwas anderes.“ Er selbst ist von der freien Schule in die freie Wirtschaft gewechselt.

Lehrerausbildung wie in Deutschland kennen die USA nicht

Eine Lehrerausbildung wie in Deutschland gibt es in den USA nicht. Wer unterrichten will, muss ein „Zertifikat“ nachweisen, das er durch einige Kurse an der Uni und durch Praktika erwirbt. Wer aber an einer Charter-Schule unterrichten will, braucht gar nichts.

Wer Lehrer an einer Charter-Schule werden will, kann Soldaten in Afghanistan ausgebildet haben wie Mark Hamstra, der Disziplin-Direktor. Er kann Investmentbanker gewesen sein wie Tyson Kane, der Schulleiter. Er kann Journalist und Entwicklungshelfer gewesen sein wie Brett McNeil, der sie jetzt kritisch sieht.

Lehrergewerkschaften, die in den nördlichen Bundesstaaten der USA kontrollieren, dass nur Fachkräfte eingestellt werden und diesen dafür Zwangsmitgliedsgebühren abknöpfen, sind in den Charter-Schulen nicht zugelassen, so steht es im Gesetz. Guten Schulleitern erlaubt das, talentierte Quereinsteiger zu finden. Dass es die oft nach wenigen Jahren wieder in andere, lukrativere Berufe zieht, wird hingenommen.

Die Kritiker wie McNeil sind zahlreich, aber einflusslos. Die Gewerkschaften waren gelähmt, weil ausgerechnet ihre früheren politischen Verbündeten, die Demokraten, diese Schulrevolution wollten. Vor drei Jahren dann versuchten es die Gewerkschaften mit einem Streik in Chicago, dem größten seit 25 Jahren. Der knapp zweiwöchige Arbeitskampf erinnerte an Chicagos wilde 20er-Jahre. Der Bürgermeister versuchte, den Streik vor Gericht verbieten zu lassen, ein Polizeipferd preschte in demonstrierende Lehrer hinein. Die Eltern von 350.000 Schülern wussten zwei Wochen lang nicht, wohin mit ihren Kindern. Die Lehrer errangen schließlich einen Teilerfolg. Wirklich geändert hat sich nicht viel, es werden weiter neue Charter-Schulen gegründet.

Warum, das erklärt Tim Knowles, der Direktor des Instituts für Städtische Bildung der Universität Chicagos. Er ist einer der führenden Experten für Charter-Schulen in den USA. Er kommt gerne ohne Krawatte und Jackett auf den Campus, seine Karriere begann er als Historiker mit dem Fachgebiet Afrikanische Geschichte. Als die ersten Charter-Schulen aufkamen, sah er in ihnen eine riesige Chance für die afroamerikanische Bevölkerung – und ein faszinierendes pädagogisches Experiment. Inzwischen betreibt sein Institut selbst solche Schulen, ganz in der Nähe der Universität.

In den weißen Vororten bekommen Schüler iPads und Laptops

Knowles sagt, der Grund, warum sich die Charter-Schulen derart rasch etabliert und ausgebreitet haben, sei nicht ihre Qualität, sondern ein Konstruktionsfehler des Bildungssystems. In Deutschland stöhnen Experten und Eltern seit Jahrzehnten, dass jedes Bundesland die Bildungspolitik selbst bestimmt. In den USA ist es noch krasser: Dort sind Schulen die Sache der Kommunen. Die sind in dem vielfältigen Land sehr unterschiedlich, vor allem unterschiedlich wohlhabend. Man muss in Chicago nur fünf oder sechs Meilen von der Schule der Bulls in die Suburbs im Westen oder Norden fahren, die weißen Vororte. Dort gibt es zum Beispiel die Wilmette Public School. Dort trägt kein Schüler Uniform, kein Lehrer verteilt Strafpunkte. Jeder Neuntklässler bekommt ein iPad gestellt – den Laptop von der Schule hat er längst zu Hause.

So werden die Schüler mit den meisten Problemen von den am schlechtesten bezahlten Lehrern in den am schlechtesten ausgestatteten Schulen unterrichtet

Die Regierung in Washington zahlt nur acht Prozent des Budgets einer Schule, 30 Prozent steuert der Bundesstaat bei. Den Rest treiben Lokalpolitiker ein, indem sie Grundbesitz mit absurd hohen Steuern belegen. Deshalb ähneln Highschools in wohlhabenden Gegenden wie in Wilmette oft kleinen Universitäten mit modernsten Hörsälen und großzügigen Sportanlagen. Die besten Lehrer werden mit den höchsten Gehältern dorthin gelockt.

Auf diese Weise können manche Gemeinden im Umfeld Chicagos bis zu 25.000 Dollar pro Schüler im Jahr ausgeben. In der Stadt selbst, die keine derart hohen Steuern erheben kann und viele teure Probleme hat, sind es 11.500 Dollar pro Schüler und Jahr. Weniger als die Hälfte also. So werden die Schüler mit den meisten Problemen von den am schlechtesten bezahlten Lehrern in den am schlechtesten ausgestatteten Schulen unterrichtet.

Das herkömmliche Schulsystem ist kein Opfer der Verelendung der schwarzen und Latino-Viertel, sondern seine Ursache. Ein Teufelskreis ist entstanden: Auf der Flucht vor unterfinanzierten, schlechten Schulen ziehen Eltern, die es sich irgendwie leisten können, in die Vororte. In der Stadt fehlen ihre Kinder. Und ihre Steuern.

Charter-Absolventen haben auf dem College Probleme

Diese Gemengelage lässt das Versprechen der Charter-Schulen so verlockend erscheinen, eigentlich unwiderstehlich. Bessere Bildung für weniger Steuergeld. Pro Jahr und Charter-Schüler gibt Chicago im Durchschnitt nur 7500 Dollar aus. Der Rest wird von reichen Spendern eingebracht und indirekt von Lehrern, die für weniger Geld arbeiten.

Die Frage ist, ob dies Versprechen der billigeren, aber guten Bildung eingelöst wird. Und da sind sogar Befürworter wie Knowles sehr skeptisch. „Nur 20 Prozent der Charter-Schools liefern tatsächlich bessere Ergebnisse als die gewöhnlichen Schulen. 30 Prozent sind genauso schlecht. Und 50 Prozent sogar noch schlechter.“ Zwar schafft es ein höherer Anteil der Charter-Absolventen aufs College. Dort allerdings bekommen sie oft Probleme. Starre, kleinteilige Vorschriften wie die von Mark Hamstra, dem Drill-Direktor aus Chicago, gibt es an der Uni nicht. Dort gibt es das Gegenteil: akademische Freiheit, eigene Verantwortung, die Hamstras Schüler nie kennengelernt haben.

Dennoch, Knowles’ Uni führt jetzt sogar Grundschulen nach diesem System ein. Die Hoffnung ist, die Kinder langsamer, aber nachhaltiger an eine Arbeitsmoral heranführen zu können, sodass sie in weiterführenden Schulen keine extremen Regeln mehr brauchen. Auch das Noble-Netzwerk, zu denen die Schule der Chicago Bulls gehört, hat gerade seine erste Kita eröffnet. Die „Exzellenz in früher Kindheit“ soll dort erreicht werden. Aufgenommen werden Babys ab sechs Wochen nach der Geburt.

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Author: Horacio Brakus JD

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Name: Horacio Brakus JD

Birthday: 1999-08-21

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Job: Sales Strategist

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Introduction: My name is Horacio Brakus JD, I am a lively, splendid, jolly, vivacious, vast, cheerful, agreeable person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.